Opa

Wären da keine Bewegungen, man nähme ihn kaum wahr. Eingehüllt im beissenden Rauch der „Handelsgold Fehlfarben“ sass er immer hinten links an seinem Tisch und reparierte irgendwelche Dinge. Mein Opa. Geboren am 11.08.1898. Wann er gestorben ist, weiss ich nicht mehr. Tut auch hier nichts zur Sache. Warum ich denn dann weiss, wann er geboren ist, liegt daran, dass ich irgendwie zu seinem Militärpass  gekommen bin, in welchen er ordentlich alle Dokumente abgelegt hat. Makaber wirkt da besonders ein Beleg mit dem handschriftlichen Vermerk von Opa: „ Der Zettel der mir bei meiner Verwundung am 11.08.1918 bei der Schlacht an der Römerstrasse angehängt wurde.“ Genau an seinem zwanzigsten Geburtstag und drei Monate vor dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde er also verwundet.

Der Logik folgend, musste er diese überleben, da ich sonst diesen Artikel hätte nicht schreiben können. Irgendwann kam Opa zu seiner Margarethe heim und heiratete diese. Sie sollte später meine Oma werden. Aus dem gelernten Friseur wurde ein Friseurmeister und somit die Selbstständigkeit im eigenen Friseursalon. Ob dies noch vor dem Zweiten Weltkrieg war oder danach, entzieht sich meiner Kenntnis. Fakt ist aber, dass mein Opa 1939 den Massen folgte und dementsprechend sechs Jahre lang einen Herrn A. H. aus Braunau am Inn diente.

Opa und Oma hatten vier Kinder. Drei Mädchen und einen Jungen. An ein Mädchen erinnere ich mich ganz genau. Am 18.05.1932 wurde meine Mutter geboren. Sie war, folge ich meinen Erinnerungen, das zweite Kind. Eine ihrer Schwestern wurde vor 1932 geboren und eine erst nach dem Krieg. Wann ihr Bruder das Licht der Welt erblickte, weiss ich nicht mehr. Ihm zog es später aus „kulturellen“ Gründen in die USA, wo er immer noch lebt. Aber das ist eine andere Geschichte!

Vom eigentlichen Leben meiner Grosseltern weiss ich nichts mehr. Nein! Ehrlicherweise muss ich schreiben, dass ich noch nie etwas wusste! Offene Kommunikation und das Austauschen von Informationen im Hause Angermann war nie ein Thema. Tagesordnungspunkt 1: Totschweigen. Tagesordnungspunkt 2: Nicht darüber reden. Und so weiter!

Aber ich glaube, dass mein Opa ein recht ausgeglichener Mensch war. Auch hatte er für die damalige Zeit einen sehr speziellen Humor. So erzählte man, dass er im hohen Alter zuhause immer seine Zehennägel beim Schneiden der selbigen, sammelte. Warum, wusste niemand! Nur Opa! Opa hatte eine Stammkneipe, in der er regelmässig sein Bier trank. Und so mancher Gast musste beim Verlassen des Lokals feststellen, dass in seiner Jackentasche Zehennägel waren. Opas Zehennägel! Er hatte Spass daran, diese in die Jacken- oder Manteltaschen der Gäste zu verteilen. Brillant! Unvergesslich auch seine Geschichte vom „Schwarzen Mann“, einem Schatten, der ihn auf dem Nachhauseweg des Öfteren begleitete. Nach dem Spruch „ In Gottes Namen … verschwinde“, zog sich der Begleiter aber zurück! Probiert es selber mal aus – es funktioniert auch noch heute.

Wir sind wieder beim eingangs erwähnten Zigarrenrauch. Während dem Genuss des Stumpens reinigte Opa auch manchmal eine Pistole. Aber nicht irgendeine, sondern eine Luger 08, kam in den Genuss frischen Öles. Die 08 steht bei dieser Ordonnanzwaffe übrigens für das Einführungsjahr im Deutschen Reich, also für 1908. Mit grossen Augen sah ich, der kleine Stefan, diesem Ritual zu. Und ich erinnere mich noch zu gut an die Worte von Opa: „Eines Tages wird diese Pistole dir gehören!“ Leider wurde nichts daraus. Meiner Oma wurde die „Waffe im Haus“ zu heikel und so wurde „meine“ Pistole verkauft. Verkauft an einem Typen, der damit besoffen Glasscheiben an einer Brauerei einschoss und logischerweise erwischt worden ist. Nun schlummert meine Waffe irgendwo in einer Asservatenkammer oder wurde womöglich sogar versteigert. Noch am Rande sei erwähnt, dass mein Opa für die Verkaufsaktion – altersbedingt – strafrechtlich nicht belangt worden ist.

Irgendwann starb Opa. Meine Oma lebte nun alleine in der riesigen und verwinkelten Wohnung. In dieser gab es auch einen grossen Flur, der immer dunkel war. Man musste diesen queren, wenn man ins Wohnzimmer wollte. Grundsätzlich kein Problem, wäre da nicht dieser schwarze Vorhang im hinteren Teil des Flures gewesen. Ich hatte keine Ahnung, was dahinter gewesen ist. Aber kurz nach dem Tod von meinem Grossvater und auch noch lange danach, hatte ich oft das Gefühl, ich hätte dahinter „etwas“ gehört. Also immer blitzschnell ins Wohnzimmer, in die Helligkeit und bloss nicht nach links schauen!

Irgendwann folgte auch Oma ihrem Mann, der nur voraus gegangen ist. Ich bin fest überzeugt, dass die beiden wieder zusammen sind. Wo auch immer und wie auch immer das aussehen mag. Ich glaube nicht, dass der Tod diese Macht hat, etwas Unzertrennliches zu trennen. Er definiert ledig einen gewissen Zeitraum des Alleinseins. Alles wird sich wieder begegnen!

Abschliessend noch etwas in eigener Sache. Dem aufmerksamen Leser sollte nicht entgangen sein, dass ich immer nur von den Eltern meiner Mutter sprach. Dem Gesetz der Biologie folgend, haben aber alle Lebewesen jeweils zwei leibliche Omas und Opas. Frage: „Muss man den Heimathafen eines Schiffes kennen, wenn man gerade mal den Namen des Schiffes kennt?“ Antwort: „Nein!“

In diesem Sinne … ohne Worte!

Euer Stefan

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