A.M. | 10.2020

Liebes Tagebuch. Es ist schon lange her, dass ich meine Gedanken mit dir geteilt habe. Aber ich stehe jetzt an einem neuen Abschnitt in meinem Leben. Meine Tage als Regentin sind gezählt.

Stimmt! Es sind noch einige Monate, aber «Tage» klingt epischer. Und so schmiede ich meine Pläne und blicke gleichzeitig zurück auf meine epochalen Errungenschaften, welche ich meinem Land und der Welt gegeben habe.

Als erstes werde ich mich dieser komischen Kostüme entledigen. Irgendwie haben die nie gepasst. Klar, auf Fotos und mit Hilfe von talentierten, indischen Bildbearbeitern, kam eine halbwegs optische Darstellung zustande. Aber bei den bewegten Bildern (neudeutsch: Videos) zeigte die Technik ihre Grenzen und mein wirkliches Ich wurde präsentiert. Auch Coachings hinsichtlich Bewegung und Mimik brachten leider nicht viel. Ich habe schon meine beiden talentierten Hofschneiderinnen in Sirajganj, Bangladesch, angewiesen, keine dieser Kostüme mehr anzufertigen. Stattdessen habe ich der 11-jährigen Oporajita und deren 9-jährige Schwester Barsha den offiziellen Auftrag erteilt, Jogginganzüge zu produzieren. Zu welchen Konditionen ich die beiden beauftrage, muss mein Finanzminister und dessen fast 2`000 Bediensteten noch klären. Notfalls muss aus Gründen der Unfähigkeit ein externes Beraterteam eingesetzt werden. Meine Preisvorstellung liegt unabhängig dessen fest und soll als Grundlage der neuen Vertragsverhandlungen dienen. EUR 0.19 die Stunde, incl. Materialbeistellung durch den Auftragnehmer (AN). Auch die Versandkosten sind durch die AN zu tragen.

Ab und zu ein paar bedeutungslose Termine mit Vertretern der Wirtschaft und aus der Forschung stünden noch an der Tagesordnung. Bei den Wirtschaftlern komme ich durch meine bejahende Art und Weise stets gut an, die Forscher verstehe ich nicht. Obwohl selbst Wissenschaftlerin kann ich deren Ausführungen nicht folgen. Klar, einen Knopf zu betätigen, um eine Maschine zu starten, das kriege ich noch hin. Was jedoch diese Maschine für einen Zweck erfüllt, entzieht sich dann meiner Kenntnis. Vielleicht war mein Studium im Osten doch nicht so ertragsreich und zielführend. Termine mit sogenannten Jungmenschen werde ich nicht mehr wahrnehmen. Kinder sind mir ein Gräuel. Ständig diese Fragen mit dem Anspruch auf eine ehrliche Antwort. Hallo, ich bin Politikerin! Und dann diese selbstgebastelten Dinge als Geschenk dienend. Schrecklich! Gut, dass mein Chauffeur Carlos, meine Abneigung gegenüber dieser Art von Zuwendungen kennt. Rechts ran, den Scheibenheber bestätigen und weiter geht die Fahrt. Einmal fragte mich einer dieser Lümmel, was denn mein Lieblingsessen sei. Unabhängig dessen, dass es diesem Spund nicht angeht, gab ich trotzdem eine Antwort. Und dabei machte sich das jahrelange Coaching «Umgang mit Kindern und Jugendlichen» bezahlt. Hier wurde mir u.a. gelehrt, dass alle Pratzen gerne Spaghetti Bolognese essen. «Also, mein lieber ….ähhh (…den Namen hatte ich schon wieder vergessen), mein Lieblingsessen ist Spaghetti Bolognese!» Der Junge verzerrte sein Gesicht, was wohl einem Lächeln gleich kam und sagte: «meines auch»! Er sagte sicherlich die Wahrheit, ich nicht. Hallo, ich bin Politikerin!

Um meine Nachfolge habe ich mich auch schon gekümmert. Tick, Trick und Track. Tick kennt niemand und wenn ich ehrlich bin, auch ich nicht. Trick hat Geld, aber keinen Verstand. Track ist einer meiner Länderfürsten und mir dementsprechend treu ergeben. Die Treue zu mir, ist seine Qualität, mehr aber auch nicht. Er wird wohl als Sieger hervorgehen. Wenn ich ehrlich bin, ist mir das ganze Prozedere aber egal. Ich hinterlasse «blühende Landschaften» und wenn Track, oder wer auch immer, die Kiste gegen die Wand fährt, bin ich aussen vor.

Ein Teil meiner Restlebensdauer wird sicherlich meinem Mann zugutekommen. Wir sahen uns in den letzten Jahren kaum noch und seit einigen Monaten hat er sich in den Ostflügel zurückgezogen. Ich selbst durfte den 560 m² grossen Trakt nur nach Voranmeldung betreten. Die dann stattgefundenen Dialoge waren meist aufgesetzt und inhaltslos. Er sass die meiste Zeit an seinem Computer und war wohl mit der Suche nach einem geeigneten Haustier beschäftigt. Durch Zufall konnte ich im Browserverlauf erkennen, dass er Hamster favorisierte.

Auch will ich mehr Leben in meine Residenz bringen – eine Idee zur Umsetzung fehlt mir aber noch. Auf alle Fälle müssen diese Personenschützer (neudeutsch: Bodyguards) personell minimiert werden. An fast jeder Türe steht ein solcher Vertreter dieser Gattung, irgendwie fehlt mir hier die Privatsphäre. An eine Situation erinnere ich mich in diesem Zusammenhang noch ganz genau. Mein 240 m² grosses Primärbadezimmer, auch MasterBad genannt, wird durch eine transparente 2-flügelige Automatikschiebetüre freigegeben. Vor dieser wacht Tag und Nacht der 32-jährige Hekima aus Swakopmund, Namibia. Schwarzer Anzug, schwarze Sonnenbrille und auch alles andere in schwarz geprägt. Nach einem anstrengenden Tag wollte ich nur noch duschen. Also raus aus dem Kostüm, mehrere Badetücher um den Leib gebunden und ab in Richtung Masterbad. Kurz vor dem Betreten fiel mir unglücklicherweise mein Stuten-Milch-Badeelexier aus der Hand. Reflexartig gingen Hekima und ich zu Boden, um dieses aufzuheben. Dabei geschah es, dass die schwarze Sonnenbrille von Hekima verrutschte. Was ich dann sah, versetzte mich in eine Art von Starre. Ich sah keine Augen, sondern musste mit Entsetzen feststellen, dass sich mein Leibwächter die Augenlider zugetackert hatte. Sofort verständigte ich meinen «Secret Service» über den Sachverhalt, jedoch würde mir glaubhaft bestätigt, dass Hekima bei dessen Einstellung 2018 diese Art einer Sehbehinderung noch nicht hatte. Dies bestätigte auch mein Küchenchef und alle weiteren Bediensteten der Küche. Sie mussten es schliesslich wissen, da Hekima vor dem Einsatz am Badezimmer für den Schutz der Küche verantwortlich war. Weitere Ermittlungen ergaben, dass sich Hekima die Augen kurz nach dessen Versetzung, selbst mittels Klammern verschloss. Aufgeklärt konnte die Sache leider nicht, da Hakim kurz nach dem Vorfall verschwand. Die Überwachung übernahm eine deutsche Schäferhündin von kräftiger Statur und einer sehr rauen Zunge – ich gab ihr den Namen «Blondie».

Vor meinem Abgang aus der Weltpolitik muss ich aber noch meine Landesfürsten «impfen». Zu oft habe ich der Vergangenheit erkennen müssen, dass deren bedingungsloser Gehorsam meiner Person gegenüber, ab und an nicht in dem Umfang vollzogen wurde, welchen ich verlange. Schliesslich machte ich diese 16 Vasallen zu dem was sie heute sind. Vor allem einer aus der südlichsten Provinz bedarf besonderer Behandlung. Ständig kommt dieser mit abstrusen Ideen und stellt schon auch mal meine Position in Frage. Dies gleicht der Blasphemie! Warum ich den Querulanten noch nicht die Krone entzogen habe, liegt an zwei Gründen. Erstens weist sein Land einen hohen finanziellen Status auf und trägt dementsprechend bei, dass verarmte Ostprovinzen überleben können. Auch trägt er geschickt dazu bei, dass das Volk seine schon immer vorhandenen Eigenschaften beibehält. Gutgläubig, unterwürfig und somit dumm. Der zweite Grund liegt eher im persönlichen Bereich. Schwer zu erkennen, bin ich auch eine Frau. Und so kommt es manchmal vor, dass ich den ein oder anderen Wunsch in meiner nächtlichen Fantasie, zulasse. Und dann kommt mir dieser stramme Franke gerade recht. Ob auch er diese Vorstellung hegt, mag ich zu bezweifeln. Ich glaube, er hasst mich!

Oft stelle ich mir selbst die Frage, wer mich überhaupt mag. Ich mag viele, nur mögen sie mich? Da wäre z.B. Emmanuel, der 42-jahrige Franzose. Galant, gutaussehend und ein wahrer Gentleman. Ein Handkuss da, eine innige Umarmung hier. Leider alles nur vor der Fassade und für die Medien. Kaum geht die Türe zu, zeigt Emmanuel sein wahres Ich. Schnell laufen die nie dagewesenen Gemeinsamkeiten auseinander und Streit ist im Anmarsch. Ein Franzose eben!

Die Türkei und dessen Diktator mag ich überhaupt nicht. Nichts gegen die Kulinarik des Landes. Wie oft sage ich meinen Chauffeur Carlos, «Komm, wir holen uns noch einen Döner»! Auch die Bevölkerung ist in Ordnung. Zumindest hier in meinem Land, wenn diese einer ehrlichen und für mich ertragvollen Arbeit nachgehen. Wie gesagt, der 66-järige Türke ist mir sympathisch wie Darmgrippe, aber ich muss letztendlich machen was er will. Hält er doch Horden von Einreisewilligen von meinem Land fern.

Italien. Hier blicke ich nicht durch. Die Regierung wird aus Recht und Links gebildet. Wie soll das funktionieren? Ausserdem wollen die ständig mein Geld, mit null Gegenleistung. Gute Erinnerungen habe ich an Silvio, leider wurde ich nie auf dessen Yacht eingeladen.

Zwei Alpenrepubliken grenzen an mein Reich. Die Schweiz und Österreich. Von der Schweiz weiss ist, dass diese viel Geld hat und gute Uhren produziert. Auch der Käse sei wohl vorzüglich. Besuche und Gegenbesuche waren eher selten. Österreich mag ich – vor allem dessen Regent. Ich gab ihn den Spitznamen «Basti». Basti ist jung, aber nicht unerfahren. Ich könnte stundenlang mit ihm knuddeln. Er dürfte sich sogar in einer meine Falten verstecken.

Ich könnte jetzt noch weitere Länder und deren Eigenheiten, bezogen auf meine Person, auflisten. Aber dadurch käme es auch nicht zu der alles entscheidenden Antwort auf die Frage: «Wer mag mich überhaupt?» Schade!

Abschliessend noch die Aufforderung, dass mein Land und die Welt, in der Pflicht steht, meinen politischen Nachlass in Ehren zu halten. Möge die Zeit und die Geschichte mein Schaffen stets in guter Erinnerung behalten.

A.M. im Okt 2020
Gottkaiserin

Nachtrag:
Ich habe gerade eine Einladung vom chinesischen Botschafter hier in Berlin erhalten. Es geht in erster Linie um die weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit unserer beiden Länder. So will er mir ein neues Geschäftsmodell für die Produktion von irgendwelchen Masken in China vorstellen. Genaueres hierzu wollte er mir aber nicht verraten. Zusätzlich und da freue ich mich besonders darauf, will er mich mit kulinarischen Köstlichkeiten aus dem Reich der Mitte verwöhnen. Da bin ich aber mal gespannt!

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